Zur Baugeschichte von Haus Berge (Wilhelm Breuer)

Unter den wenigen Burganlagen, die im Stadtgebiet von Gelsenkirchen erhalten geblieben sind, ist Haus Berge architektonisch zwar nicht die bedeutendste, für die Bürger aber wegen ihrer zentralen Lage im Erholungsgebiet die weitaus attraktivste. So hat sich auch etwa seit der Wende zum 20. Jahrhundert die Bezeichnung »Schloss« Berge allgemein durchgesetzt, obwohl der Baubestand diese anspruchsvolle Einordnung nicht ganz rechtfertigt.

Von baugeschichtlicher Bedeutung ist nur das Herrenhaus. Von den Wirtschaftsgebäuden auf der Vorburg, die 1876/78 anstelle des alten »Unterhauses« errichtet wurden, steht nichts mehr. Die übrigen Teile brach man 1938, als die NSDAP dort den Neubau einer Kreisschulungsburg plante, und 2002 ab. Auch die neugotische Kapelle, 1879 als Grabstätte der Aufsitzer erbaut, war architektonisch unbedeutend und fiel bei der Neugestaltung der Parkanlagen 1927 der Spitzhacke zum Opfer. Von den zahlreichen Nebengebäuden des alten Baubestandes ist nur die untere Mühle am Lohmühlenteich erhalten geblieben. Die obere Mühle am Westufer des großen Schlossteiches, – ein kleiner Fachwerkbau auf gemauertem Sockelgeschoß -, musste im September 1963 wegen Baufälligkeit abgetragen werden.

Über die Baugeschichte des Herrenhauses gibt es keine präzisen Unterlagen. Frühere Formen und Zwischenstadien, die das Haus durch Zerstörung, Umbau und Erweiterung erfahren hat, sind weder schriftlich noch zeichnerisch belegt. Ergiebiger für eine baugeschichtliche Betrachtung waren die von der Stadt Recklinghausen aus dem Besitz der Familie von Westerholt-Arenfels erworbenen Archivbestände und die ersten Bestandszeichnungen des Hauses von 1926, die nach der Übernahme des Anwesens vom Hochbauamt der Stadt Buer gefertigt wurden. Sie zeigen in den Grundrissen noch deutliche Spuren der Entwicklungsgeschichte, die jedoch durch die großen Umbauten der Jahre 1953 und 1978 weitgehend verwischt wurden.

Rein äußerlich macht das Haus heute den Eindruck einer einheitlichen am Ende des 18. Jahrhunderts entstandenen Anlage. Der hufeisenförmige Baukörper mit seinem auf die Eingangsachse ausgerichteten cour d’honneur, das Mansarddach und die schlichten Fassadendetails zeigen eindeutig die vornehm-kühlen Stilformen des Spätbarock auf der Wende zum Klassizismus. Bei näherer Betrachtung zeichnen sich jedoch mehrere Bauabschnitte ab, die schon im Grundriss durch die Stärke ihrer Außenwände zu unterscheiden sind.
Am ältesten ist der nördliche Teil des Hauptflügels mit einer Grundfläche von 10,75 x 26,25 m. Außenwände von 130 cm Dicke zeigen den Charakter der spätmittelalterlichen Wehranlage. Auch der Grundriss-Typ dieser Zeit mit einem größeren Saal und der durch eine Kaminwand abgetrennten kleineren Saalkammer ist in den Bestandsplänen von 1926 bis ins Obergeschoss hinein klar erkennbar. Die Bauzeit dieses 1. Abschnittes wird um 1530 angesetzt, eine Annahme, die sich auf Grundrisstyp, Konstruktion, Baumaterial und andere Merkmale stützt.
Die Fundamente bestehen bis ca. 50 cm über der Wasserlinie aus Bruchsteinen. Sie sind teilweise auf den tragfähigen Mergel heruntergeführt, teilweise liegen sie auf Pfählen mit Holzbalkenrosten. Das aufgehende Mauerwerk aus Feldbrandsteinen hat zwar ·eine erhebliche Stärke, ist aber von geringer Qualität. Oft sind nur die äußeren Mauerschalen ordnungsmäßig im Verband vermörtelt, während das Füllmauerwerk dazwischen aus Steinresten in Lehmbindung besteht. Die Kellerdecken waren gewölbt, die Geschoßdecken bestanden aus Eichenbalken mit stattlichen 8,50 m Spannweite und einem Bohlenbelag. Die Fassaden hat man sich mit kleinen, unregelmäßig sitzenden Fenstern vorzustellen, darüber ein hohes Satteldach. Außer diesem noch bestehenden Bauteil gab es vor 1785 noch einen Gebäudeflügel, der wahrscheinlich an der Stelle des jetzigen Nordflügels stand und erst im Zuge der großen Umgestaltung abgebrochen wurde. Für eine Datierung dieses Flügels gibt es keine Anhaltspunkte. Auch über seine Grundrissfunktion und seine Größe ist nichts bekannt. Es ist anzunehmen, dass er noch zur Bausubstanz des 16. Jahrhunderts gehört. Mit Sicherheit gehört dazu ein Turm, der noch bis 1784 nachweisbar ist. Er muss ebenfalls kurz danach im Zuge der Neugestaltung abgebrochen worden sein. Die runde Bastion an der Südwestecke der Mauer (Musikpavillon) ist vielleicht ein Rest davon. Man hätte sich demnach das Herrenhaus in diesem Stadium als einen nach Süden geöffneten L-förmigen Baukörper vorzustellen, ähnlich wie Lüttinghoff und Grimberg, mit einem Rundturm an der Südwestecke, der früher den Zugang zur Zugbrücke zu sichern hatte.

Als Bauherr dieser Anlage wird Georg von Boenen angesehen, der 1521 die Erbin von Berge, Hartelief von Backem, heiratete. Ein ähnlicher Anlass zum Bauen wie im benachbarten Herten, wo einige Jahre später Bertram von Nesselrode 1529 die Schlosserbin Anna Stecke heiratete und anschließend das gesamte Schloss neu aufbaute. Ein wichtiges Indiz für die Datierung ist, dass Berge ebenso wie Herten noch als Wehrbauten erstellt wurden, ein Bautypus, der nach 1530 schnell aus der Mode kam.

Als Prototyp neuer Wohnformen entstand drei Jahrzehnte später, von 1556 bis 1578, in der Nachbarschaft das repräsentative Schloss Horst, dessen Architektur dann zahlreiche Neubauten der weiteren Umgebung. bis hin zu den Bauten der Weser-Renaissance beeinflusst hat. Die Wandlung vom Wehrbau zum komfortablen Herrensitz wurde nicht nur durch den verfeinerten Lebensstil, sondern vor allem durch die Entwicklung der Artillerie ausgelöst, die kleinere Befestigungsanlagen alter Art sinnlos machte. Dieser Wandel, unterbrochen durch den Dreißigjährigen Krieg und seine Folgen, zog sich bis spät ins 17. Jahrhundert hin. In Herten und Lüttinghoff sind entsprechende Baumaßnahmen um 1690 nachweisbar. In beiden Fällen folgte dem Umbau ab 1700 die Anlage üppig ausgestatteter Ziergärten nach französischem Muster.
Auch am Schloss Berge ist um 1700 eine ähnliche Modernisierung anzunehmen, obwohl eindeutige Belege für diese Datierung fehlen. In diese Zeit dürfte ein Anbau gehören, der sich mit einer Grundfläche von 11 x 12,35 m an den Südostgiebel des Altbaues anschließt. Die Außenwände sind hier mit 95 cm bereits deutlich schwächer, die Fensteröffnungen größer und zahlreicher. Wie die Pläne von 1926 zeigen, war dieser Anbau nicht unterkellert, nur ein großer Backofen wurde im Anschluss an die Kellerwand des Altbaues angelegt. Zur Sicherung der Fundamente verstärkte man die Außenwand zur östlichen Gräfte durch eine Dossierung und sicherte die gefährdete Nahtstelle zwischen beiden Bauteilen durch einen starken. Strebepfeiler.

Seine heutige Gestalt erhielt Schloss Berge jedoch erst durch einen großzügigen Um- und Erweiterungsbau in den Jahren 1785-1788. Architekt dieses Umbaues war der Baumeister Engelbert Kleinhansz, ein gebürtiger Tiroler, der in den Jahren 1782-1805 als Stiftsbaumeister der Abtei Werden tätig war und später nach Elberfeld übersiedelte. Nach dem Plan von Kleinhansz wurden der Südwestfront des Hauptgebäudes zwei gleichartige Flügelbauten von je 9,70 x 16,20 m Grundfläche angefügt, die einen Innenhof symmetrisch einschlossen. Die alte Hauptfassade wurde zur Erzielung einer einheitlichen Gesamtwirkung umgebaut. Den zweigeschossigen, U-förmigen Baukörper deckte Kleinhansz nach dem Vorbild französischer Barockbauten mit einem Mansarddach ab, an dem er in der Hofachse als Akzent eine steinerne Attika mit dem Familienwappen aufsetzte. Die Fenster bekamen rundum ein einheitliches Format und wurden axial angeordnet. Die Nahtstellen zwischen altem und neuen Bestand waren dadurch weitgehend verwischt. Der älteste Abschnitt zeichnet sich nur noch dadurch ab, dass seine der Gräfte zugewandten Hinterfronten wesentlich größere Fensterabstände haben als die neuen Bauteile und die repräsentativen Hoffassaden, wahrscheinlich auch bedingt durch die Masse und die lockere Struktur des alten Mauerwerks.
Bauherr dieser großen Umgestaltung war der Freiherr Ludolf Friederich Adolf von Boenen. Er hatte 1769 Wilhelmine Franziska, Erbtochter der Familie von Westerholt-Gysenberg geheiratet und wurde durch Dekret Kaiser Josefs II. vom 27. Juli 1779 in den Reichsfreiherrenstand und am 17. August 1790 durch Kurfürst Karl Theodor von Bayern in den Reichsgrafenstand erhoben. Ludolf von Boenen übernahm dabei Namen, Wappen und Konfession derer von Westerholt-Gysenberg. Der gehobene Status und das damit verbundene Repräsentationsbedürfnis könnten den Anstoß zu dieser großzügigen Baumaßnahme gegeben haben.

Ansicht von Norden

Plan des Dachgeschosses

Bis zur Übernahme durch die Stadt Buer hat sich am Baubestand des Herrenhauses seit 1788 nichts Wesentliches geändert. Die Familie von Westerholt-Gysenberg war um die Jahrhundertwende nach Schloss Arenfels bei Hönningen umgezogen, setzte einen Pächter ein und betrieb das Haus seither als Ausflugsgaststätte. Zur Schaffung der Gasträume nahm man im Erd- und Obergeschoss einige Zwischenwände heraus und baute an der Südfront 1904 eine große Glasveranda in Holzkonstruktion.

Schloss Berge und der schöne Park entwickelten sich rasch zu einer gut besuchten Oase in der umgebenden Industrielandschaft, aber zu einer großzügigen Volks-Erholungsstätte fehlten doch viele bauliche Voraussetzungen. Wie aus einer Bestandsaufnahme von 1921 hervorgeht, war der Zustand des Hauses miserabel. Die Unterhaltungsarbeiten waren seit Jahren vernachlässigt worden, notwendige Installationen fehlten. Die Tragfähigkeit der Deckenbalken war durch Fäulnis und Wurmbefall gefährdet. Als die Stadt Buer nach langen Verhandlungen Haus und Umland von den Erben des Reichsgrafen Karl Theodor Eugen von Westerholt-Gysenberg 1920 zunächst pachtete, dann 1924 käuflich erwarb, hatte das Haus durch die Belegung mit französischen Besatzungstruppen, Polizei-Einheiten und Jugendgruppen in den Jahren 1922/23 zusätzlich stark gelitten.

Die erste gründliche Erneuerung erfuhr Schloss Berge erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Umbau von 1952/53. Dabei wurden nicht nur der gesamte Innenausbau erneuert, sondern auch die Geschoßdecken, Zwischenwände, Treppenhäuser, Installationen und Versorgungsleitungen. Im Kellergeschoß musste für die notwendigen Betriebsräume Platz geschaffen werden. Zur Erreichung einer größeren Raumhöhe senkte man die Fußböden ab und beseitigte die Reste der alten Gewölbeansätze. Die nicht unterkellerten Teile und der Raum unter der vergrößerten Südterrasse wurden ebenfalls voll ausgebaut. Das Erdgeschoß nahm die Gaststätten- und Küchenräume auf und bekam an der Parkseite eine neue Veranda als Ersatz für die abbruchreife Holzkonstruktion. Im Obergeschoß wurde neben einigen Tagungsräumen ein großer Festsaal mit allen Versorgungs- und Nebenräumen eingerichtet. Bei dem Ausbau der Großräume, die über alte Bauabschnittsgrenzen hinweggingen, egalisierte man die unterschiedlichen Außenwandstärken durch vorgesetzte Mauerschalen. Im Mansardengeschoß brachte man noch einen kleinen Hotelbetrieb mit 17 Betten unter, außerdem eine Betriebswohnung und die notwendigen Personalräume.

Mit dieser Ausstattung wurde Schloss Berge 25 Jahre lang betrieben. Dann musste der Ausbaustandard den stark gestiegenen Komfortansprüchen und neuen betrieblichen Erfordernissen angepasst werden. Das kleine Hotel hatte sich als unwirtschaftlich erwiesen, die Bedienungswege waren zu weit, Lüftungsanlagen zu schwach, die Terrasse zu klein, Aufzüge fehlten. Der Innenausbau und die Möbel von 1953 waren z. T. verbraucht und unmodern geworden. Diese Mängel mussten behoben werden, um die rückläufigen Besucherzahlen aufzufangen. Zur Wiederbelebung des Betriebes wurden daher in den Jahren 1977/78 durch eine Gesellschaft mit großer gastronomischer Erfahrung umfangreiche Modernisierungsarbeiten durchgeführt. Seit 1988 steht Schloss Berge unter Denkmalschutz. Der neue Besitzer ließ umfangreiche und aufwändige Restaurierungs- und Renovierungsarbeiten durchführen, um das Schloss wieder zu einem gastronomischen Mittelpunkt der Region zu machen. Nach diesen Arbeiten wurde das Schloss zu Beginn des Jahres 2004 wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

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